Implizite und situationsbezogene
Unterstützung
von Arbeitsprozessen
Albrecht
Schmidt and Hans-W. Gellersen
TecO, University of Karlsruhe
Vincenz-Prießnitz-Str. 1, 76131
Karlsruhe, GERMANY
+49 (721) 6902-29
albrecht@teco.edu, hwg@teco.edu
Computergestützte Kooperation am Arbeitsplatz basiert auf expliziter Interaktion mit Computern, die als Primärartefakt genutzt werden. Diese Nutzung ist per se eingebettet in eine komplexe Arbeitssituation, wobei der explizite Dialog jedoch die einzige Verbindung zwischen Computernutzung und umgebender Situation darstellt. Diese weitgehende Entkopplung von Interaktion mit der virtuellen Welt (z.B. Daten und Informationen an Bildschirmen oder Programme und softwaregestützte Werkzeuge) von der Interaktion mit der realen Welt am Arbeitsplatz (z.B. Daten und Informationen auf Papier, physikalische Ordnungssysteme, oder Gegenstände in unserer Umgebung) betont die Nutzung von Computern als Primärartefakt im Gegensatz zu einer Nutzung im Hintergrund der Bewältigung realer Aufgaben.
Neue Formen der Kooperationsunterstützung werden möglich, wenn neben der expliziten Interaktion implizite Interaktion erschlossen wird. Implizit heißt zum einen, dass die Interaktion von Menschen mit ihrer realen Umgebung in Computersystemen als Eingabe reflektiert wird. In umgekehrter Richtung bedeutet implizite Interaktion, dass an die Stelle traditioneller Computerausgaben eine in die reale Umgebung eingebettete Darstellung von Information tritt, wie z.B. realisiert in [7].
In unseren Forschungsarbeiten konzentrieren wir uns auf die Erschließung impliziter Interaktion als Konzept für die Nutzung von Rechnersystemen, wobei sich der Begriff auf zwei Aspekte bezieht:
Mit dem Begriff implizite Benutzereingabe bezeichnen wir das Verhalten des Nutzers, das nicht primär auf die Interaktion mit dem Computer angelegt ist, aber vom Computer als Eingabe interpretiert wird.
Den Begriff implizite Ausgabe verwenden wir, wenn die Darstellung computer-basierter Information in die Wahrnehmung der realen Umgebung eingebettet ist.
Um Systeme, die weitgehend auf impliziter Interaktion beruhen, realisieren zu können, ist es weiterhin notwendig auf Information, die schon im System vorhanden sind, zurückzugreifen. Dies kann zum Beispiel durch Benutzerprofile oder durch die Beobachtung der expliziten Benutzerinteraktion unterstützt werden.
In diesem Abschnitt möchten wir an Hand eines Szenarios bestehend aus drei Szenen das Konzept der impliziten und situationsbezogenen Unterstützung verdeutlichen. In diesem Beispiel beziehen wir uns auf das lokale Zusammenarbeiten innerhalb einer Arbeitsgruppe.
Die
Firma XY ist ein Dienstleister im Bereich Web- und Internet-Technologie. Die
ca. 50 Mitarbeiter arbeiten an vielen verschiedenen Projekten; die meisten der
Mitarbeiter haben einen speziellen Kompetenzbereich und arbeiten im allgemeinen
gleichzeitig an mehreren Projekten. Die gesamte Firma befindet sich in einem
Gebäude; es gibt Mitarbeiterbüros, Besprechungsräume, eine Bistro (Pausenraum)
und Flure, welche die Räume verbinden. Ein Großteil der täglichen Arbeiten
werden am Computer erledigt, z.B. Textverarbeitung, Kalkulation, Design und
Analyse.
Szene 1.
Die Mitarbeiter A und B arbeiten jeweils an einer Reihe von Projekten. Sie
treffen sich im Flur und unterhalten sich. Auf einem Poster (Wand-Display)
neben ihnen erscheinen Informationen, welche Projekte betreffen, an denen sie
beide mitarbeiten. Unter anderem wird der Termin, der mit dem Kunden für die
nächste Besprechung angesetzt wurde, angezeigt. A greift die Information auf
und spricht das Treffen an – sie überlegen gemeinsam, was noch dafür
vorzubereiten ist.
Szene 2.
Im Bistro, dem Raum, den Mitarbeiter für Pausen und Gespräche nutzen, treffen
sich die Mitarbeiter C, D und E. Ihre persönlichen Profile zeigen, dass sie
alle gern ins Kino gehen. Auf dem Tisch wird das aktuelle Kinoprogramm
eingeblendet. Die Poster an den Wänden des Bistros zeigen Web-Seiten, die in
den letzten Tagen von den Anwesenden in ihren Bookmarks abgespeichert wurden.
Eine der Web-Seiten zeigt ein kontroverses Design, was zwischen den
Mitarbeitern eine Diskussion anregt.
Szene 3.
Im Besprechungsraum treffen sich die Mitarbeiter F, G, H. Für diesen Zeitpunkt
ist eine Besprechung zum Projekt Z angesetzt, für das auch noch der Mitarbeiter
I eingeladen ist. Das System informiert I über die Anwesenheit der anderen im
Besprechungsraum; diesen wird kommuniziert, wo sich I befindet (z.B.
erreichtbar über Mobiltelefon, am Arbeitsplatz, etc) und dass er informiert
wurde. Weiterhin werden im Besprechungsraum auf den Postern an der Wand
Informationen zum Projekt (letzte Besprechungsnotizen, Dokumente, etc.)
dargestellt.
Diese fiktiven Szenen zeigen wie ein System, das im Hintergrund arbeitet, Informationen situationsbezogen zur Verfügung stellen kann. Die Nutzung der Information bleibt dem Nutzer vorbehalten – er kann auf die Anregungen des Systems reagieren oder diese nicht nutzen. Um solche Szenarien verwirklichen zu können, müssen Mechanismen und Systeme, welche die implizite Interaktion unterstützen eingesetzt werden. Weiterhin wird eine Vernetzung der einzelnen Komponenten voraus gesetzt.
Systeme, die implizite Interaktion ermöglichen, sind schon in verschiedenen Forschungsprojekten erprobt worden. Eine Einführung und Übersicht ist in [5] zu finden.
In den folgenden Abschnitten stellen wir exemplarisch Technologien und Methoden vor, die eine Umsetzung und Implementierung des im Szenario beschriebenen Systems ermöglichen.
Bei der impliziten Eingabe ist der Ort, an dem sich Personen aufhalten, sich Personen treffen oder mit Objekten in Kontakt treten, von großem Interesse. Speziell zum Thema ortsabhängiger Systeme wurden verschiedene Forschungsarbeiten durchgeführt, z.B. [3, 4]. Dabei wurden Technologien eingesetzt, welche den Aufenthaltsort von Personen und deren Identität feststellen können und diese dem System mitteilen. Insbesondere werden hier Systeme eingesetzt, die Funk, Infrarot oder Ultraschall zur Lokalisierung verwenden. Verschiede Systeme – sogenannte active badges – sind kommerziell erhältlich und werden in verschiedenen Unternehmen eingesetzt. Die Ortsauflösung dieser Systeme ist im allgemeinen aber sehr grob (z.B. Raum als kleinste Einheit).
Zum erkennen der Identität von Objekten können sogenannte RFID-Tags eingesetzt werden. Diese passiven RFID-Tags sind sehr kleine elektronische Schaltungen, die durch ein externes Feld zum Zeitpunkt des Auslesens mit Energie versorgt werden und eine eindeutige Identifikation tragen. Das zum Auslesen verwendete Gerät kann entweder als stationäres Gerät (z.B. in einem Türdurchgang, in einem Tisch, etc.) oder als mobiles Gerät (z.B. in Kombination mit einem Wearable Computer) ausgeführt sein. Die Objekte werden dann über die Zuordnung der eindeutigen Kennung identifiziert.
Eine weitere Möglichkeit implizit Informationen über das Verhalten des Nutzers zu erhalten sind Alltagsgegenstände, welche um die Möglichkeit der Kontext-Gewinnung und Kommunikation erweitert wurden. Ein Beispiel hierfür ist die MediaCup [1]. Dabei handelt es sich um eine Tasse, die unauffällig durch Sensorik, einen Mikrokontroller und Kommunikation erweitert wurde. Die Tasse teilt periodisch der Umgebung Informationen über den aktuellen Kontext mit, wie z.B. der Nutzer trinkt, die Tasse ist kalt oder der Nutzer spielt mit der Tasse. Diese Informationen können dann als implizite Eingabe weiterverarbeitet werden.
Die Möglichkeiten der impliziten Eingabe sind noch weitaus vielfältiger. Die Möglichkeiten reichen vom Einsatz von Biosensoren die physiologische Kennwerte aufnehmen, über den Einsatz von Sensorik [2] bis hin zu Methoden der Audio- und Videoanalyse [6].
Information unter Menschen wird oft zwischen den Zeilen transportiert. Z.B. bemerken wir, wenn ein anderer Mensch ungeduldig auf uns wartet. Darüber hinaus haben Menschen die Fähigkeit Informationen und Ereignisse peripher wahrzunehmen [8]. Verschiedene Arbeiten im Bereich Ambient Media [9] haben Vorschläge für den Einsatz von Medien im Hintergrund gemacht und dieses untersucht.
Wir fassen den Begriff der impliziten Ausgabe weiter und betrachten darunter auch informative Displays, welche dem Benutzer Informationen präsentieren, aber keine direkte Aufmerksamkeit fordern.
Abgeleitet aus dem obigen Szenario stellen wir drei Klassen von Ausgabemedien vor:
Die Informationen, die durch implizite Eingabe erzeugt werden, sind nicht für eine bestimmte Applikation bestimmt. Im allgemeinen ist nicht klar ob eine Information, die aus einer impliziten Eingabe abgeleitet wird, keinen, einen oder eine Vielzahl von Interessenten findet. In dem vorgeschlagenen System werden die impliziten Eingaben an alle Komponenten im System per Broadcast gesendet. Die einzelne Applikation kann nun entscheiden, ob sie diese Eingabe nutzen möchte oder nicht.
Einzelne Applikationen sind in Form von Regeln implementiert. Eine Display-Applikation ist in der Form von wenn-dann Regeln erstellt. Der wenn-Teil bezieht sich auf potentielle implizite Eingaben aus dem System und der dann-Teil ist abhängig von den Eigenschaften und Fähigkeiten des jeweiligen Ausgabemediums.
Durch den Einsatz von impliziter Interaktion können sich Arbeitsumgebungen an die aktuelle Situation anpassen. Implizite Eingaben, die auf dem natürlichen Verhalten der Benutzer basieren, werden vom System interpretiert und anderen Applikationen zur Verfügung gestellt.
Durch situationsbezogene Ausgaben vermindert das System den Aufwand für die explizite Navigation in Datenbeständen. Des weiteren können durch die Ausgabe von Zusatzinformationen, welche ebenfalls kontextabhängig sind, kooperative Arbeitsabläufe initiiert, Kommunikation stimuliert und Prozesse optimiert werden.
Albrecht Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Telecooperation Office des Instituts für Telematik an der Universität Karlsruhe. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten beschäftigt er sich mit den Bereichen der impliziten Interaktion und der situativen Unterstützung.
Hans-W. Gellersen ist Leiter des Telecooperation Office (TecO) an der Universität Karlsruhe. Sein Forschungsinteresse gilt Ubiquitous Computing, d.h. der Schaffung neuer Informationsartefakte, der Vernetzung solcher Artefakte und der Implikationen für Anwendungsentwicklung und Mensch-Computer-Interaktion.
1.
Beigl,
M. and Gellersen, H.W. MediaCups: Experience with Design and Use
of Computer-Augmented Everyday Objects. To appear in Computer Networks,
Elsevier Publishers.
2.
Halkia,
M., and Solari, J. "Progress of MUSE (Making User Friendly
Spaces): A context-aware assistant for orientation". In
Streitz, N., Siegel, J., Hartkopf, V., Konomi, S. (Eds.) Cooperative Buildings -
Integrating Information, Organizations, and Architecture, Lecture Notes in
Computer Science No. 1670, Springer-Verlag Heidelberg: 1999, p. 210-214.
3.
Harter,
A. and Hopper, A. A Distributed Location System for the Active
Office. IEEE Network 8(1), 1994
4.
Schilit,
B.N., Adams, N.L. and Want, R. Context-aware computing
applications. Proceedings of the Workshop on Mobile Computing Systems and
Applications, Santa Cruz, CA, Dec. 1994.
5.
Schmidt,
A. Implicit
Human Computer Interaction Through Context. Personal
Technologies 2000 (4). Springer Verlag. Seite 195-203. 2000.
6.
Starner,
T., Schiele, B. and Pentland, A. Visual Contextual Awareness in
Wearable Computing. Proceedings of the International Symposium on Wearable
Computing (ISWC’98), Pittsburgh, Pennsylvania, 19-20 October 1998, pp. 50-57.
7.
Streitz
NA, Geißler J, Holmer T. Roomware for Cooperative Buildings:
Integrated Design of Architectural Spaces and Information Spaces. In
Proceedings of the First International Workshop on Cooperative Buildings
(CoBuild'98), Darmstadt, Germany, February 1998; Lecture Notes in Computer
Science 1370; Springer-Verlag, Heidelberg.
8.
Weiser
M. and Brown JS. Designing Calm Technology. Powergrid Journal
1.01, 1996. http://www.powergrid.com/1.01/calmtech.html
9.
Wisneski,
G., Ishii, H., Dahley, A., Gorbet, M., Brave, S., Ullmer, B., Yarin, P. (1998). Ambient Display: Turning Architectural Spache into an Interface
between People and Digital Information. In: Proceedings
of the First International Workshop on Cooperative Buildings (CoBuild'98),
Darmstadt, Germany (February 25-26, 1998). Lecture Notes in Computer Science,
Vol. 1370. Springer - Verlag, Heidelberg.